Hier gibt es den Beitrag für die Ohren.
Der erste Flug, Vancouver und die Inge
Prolog
Mit zitternden Fingern setze ich den Blinker und fahre rechts ran. Gerade hat es auf einer Brücke gekracht. Mit unserem Wohnmobil und einem entgegenkommenden Truck. 13 Jahre unfallfreies Fahren und nun das. Ausgerechnet in Kanada! Mit einem Blick in den Rückspiegel suche ich die Augen des Babymann’s. Er schaut ganz erschrocken aus der Wäsche. Und ich denke mir, „was machen wir hier eigentlich? Nächstes Jahr machen wir Urlaub in der Uckermark!“
Der erste Flug des Babymann’s
7 Tage zuvor in Deutschland.
Es gibt Sehnsuchtsorte, von denen träumt man schon ewig. Malt sich aus, wie es dort wohl sein könnte. Ob es genau so schön und eindrucksvoll ist, wie auf Bildern?
Schon als der Kindsvater und ich uns kennenlernen, träumen wir beide von den endlosen Weiten Kanadas. Doch warum gerade jetzt? Mit Kleinkind?
Vor dem Minimann machen wir Urlaub an der Ostsee, oder mal eine Pauschalreise nach Griechenland. Und gerade jetzt werden wir übermütig. Ob das eine gute Idee war?
Bereits beim Packen kommen die ersten leisen Zweifel. Drei Wochen, ein Koffer. Und der muss auch noch für mich und den Mini reichen. Nie im Leben! (Der Kindsvater hat einen Koffer für sich alleine, weil er größer ist als wir beide, erklärt er mir.) Nachdem ich den übergroßen Bären „Brownie“ mehrfach aus dem Koffer verbannt und meinen Kleiderhaufen Stück für Stück minimiert habe, lässt sich der Koffer langsam schließen. Was jetzt noch fehlt, muss eben neugekauft werden.

An einem Dienstagmorgen starten wir. Zwei Koffer, zwei Rucksäcke, ein Baby und eine gehörige Portion Abenteuerlust.
Die Zugfahrt zum Frankfurter Flughafen verläuft gut, geradezu unspektakulär. Doch was sind schon zwei Stunden im Zug, gegen zehn Stunden im Flieger? Gar nix. Mir geht, entschuldigt mein Deutsch, der Arsch auf Grundeis wenn ich daran denke. Wer mag schon die Kinder, die auf Langstreckenflügen ununterbrochen jammern, heulen und quengeln? Und wer mag deren Eltern? Ich sag es euch, NIEMAND! Und ich wollte wirklich nicht zu diesen Eltern gehören.
Also tüfteln wir an einem Plan. Wir lassen das kleine Energiebündel bis zur letzten Minute am Terminal rumrennen, nach Fliegern schauen, über Stühle klettern und jagen ihm hinterher, sodass er sich im Flieger erst mal davon erholen muss.
Neben uns am Gate sitzt ein Pärchen aus Stuttgart, sie haben auch ein kleines Kind dabei. Sofort fühle ich mich etwas besser. Noch so ein paar Verrückte, die mit Kleinkind nach Kanada fliegen. Wir kommen ins Gespräch, der kleine Mann ist 8 Monate alt. Auch Barbara und Michael haben sich einen Camper gemietet. Verstohlen beobachte ich die drei. Sie, mit super geföhnter blonder Mähne, schwarzem Polo-Shirt, mit aufgestellten Kragen, er, mit Designer Jäckchen. Sehen gar nicht so abenteuerlustig aus, denke ich mir. Aber wer weiß, vielleicht sehen wir drei auch nicht aus, wie die Camper schlechthin.

Wir steigen in den Flieger. Klar, unsere Sitzplätze befinden sich genau neben Babsi und Michael.
Unsere Sitzreihe liegt direkt am Notausgang. Wir wären also nicht nur die Ersten auf der Wasserrutsche (Scherzchen), wir haben auch genug Beinfreiheit und sogar ein Babybettchen vor uns hängen. Zwei der drei Sitzplätze sind durch uns besetzt, der dritte ist noch frei. Ich denke mir gerade, „hoffentlich muss keiner neben uns drein sitzen“, da steuert auch schon ein Herr den leeren Sitzplatz an. Ob der eine Ahnung hat, wie häufig er in den nächsten Stunden aufstehen muss? Na dann bekommt er wenigstens keine Thrombose. Bei einem lockeren Plausch zwischen ihm und meiner erwachsenen männlichen Begleitung stellt sich heraus, dass der Herr auch ein Arzt ist. Gedanklich verabschiede ich mich für die nächsten Stunden von meinem Mann.

Die Stewardessen starten ihre übliche Choreographie. Gleich geht es los. Der Start und die Landung sollen für Babys und Kleinkinder bekanntlich am schlimmsten sein, weil sie den Druck nicht ausgleichen können. Der Mini braucht etwas zum Nuckeln. Es gibt Quetschies in Hülle und Fülle. Ich hab den halben Rucksack voll mit den Dingern, in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Findet der kleine Herr richtig dufte. Der Start klappt schon mal. Punkt für die Erziehungsberechtigten.
Die ersten zwei Stunden vergehen, Achtung Wortwitz, wie im Flug. Wir schauen Wolken an und Bücher.
Etwas neidisch schiele ich rüber zu Babsi und Michael. Während ihr Sprössling im Babybett schlummert, holt Micha gerade die zweite Runde Prosecco. Ich hab bislang nur den obligatorischen Tomatensaft geschlürft. Sobald der Mini schläft, braucht Mami auch dringend einen G&T!
Eigentlich müsste er mittlerweile hundemüde sein, doch der Mini will einfach nicht schlafen. Irgendwann übermannt ihn der Schlaf aber doch. Er liegt quer auf mir. Genauer gesagt, auf meiner vollen Blase. Doch das muss jetzt einfach mal weggeatmet werden. Keiner weckt das Baby! Die Stewardess kommt und entschuldigt sich, weil es mit dem Essen so lange gedauert hat. Leider gab es eine Fehlkalkulation und das Essen aus der Economy Class sei leer. Sie habe deshalb nur noch Essen aus der Business Class für uns. Welch herber Rückschlag. Widerwillig kauen wir die Gnocchi an Trüffelschaum und den saftigen Schokoladenkuchen. Es muss ja schrecklich sein, Business Class zu fliegen. Da gibt es nicht mal die super tollen Aluschalen, an denen man sich immer (wirklich immer) die Finger verbrennt, sondern echtes Geschirr mit echtem Besteck. Wer braucht denn so was?
Apropos, wer braucht denn so was? Von den knapp zehn Flugstunden schläft unser Kind ungefähr zwei. In den anderen drei Bettchen in unserer Reihe herrscht friedliches Schlummern. Der Babymann dagegen will nix verpassen. Ungefähr zwölfmal starte ich einen der vielen aktuellen Kinofilme, die ich ohne Baby einfach alle nacheinander geschaut hätte. Beim dreizehnten Versuche muss ich dann einsehen, dass es keinen Sinn hat. Stattdessen blättere ich mit dem Mini wiederholt im Maulwurfbuch (der Kindsvater und ich werden es noch schwer bereuen, nur 1 Kinderbuch eingepackt zu haben!). Am Ende des Fluges habe ich zumindest eine alte Folge „Sex and the City“ geschaut. Zum 86. Mal.

Dafür entgeht mir die spektakuläre Aussicht nicht. Wir fliegen über die Rocky Mountains, über Grönland, haben einen wahnsinnigen Blick auf die Eiswüste. Atemberaubend!
Der Kindsvater verpasst es leider. Er hat auch eine atemberaubende Erfahrung, allerdings auf der Boardtoilette. „Code brown“ beim Babymann, ganze viermal. Unten an Land macht er nie so viel. Und jetzt ganze vier Ladungen!!! Gibt es dafür eigentlich auch einen coolen Club?
Man kennt den sogenannten „Mile High Club“. Dessen Mitglieder hatten alle schon mal ein Schäferstündchen an Board eines Flugzeugs. Würde es auch einen „Pampers High Club“ geben und mich würde mal jemand fragen „na, haste auch schon mal in einem Flugzeug …?“ könnte ich antworten, „Logo! Viermal auf einen Flug!“ Stellt euch das Gesicht vom Gegenüber vor…
Diese Erfahrung hätten wir ohne den Mini nicht gemacht.
Ich wüsste auch nicht, was der rote Knopf neben der Boardtoilette zu bedeuten hat. Jetzt weiß ich es. Nachdem der Babymann gedrückt, versuche ich Panisch das alarmrot-leuchtende Signal auszuschalten. Geht nicht! Dafür kommt sofort eine aufgeregte Stewardess angeflitzt und hämmert an die Tür, „Alles in Ordnung bei Ihnen? Können Sie mich hören?“ Ja, kann ich, so wie jeder andere Passagier.


Als der Flieger endlich in den Sinkflug geht, schläft der Babymann in meinen Armen. War ja klar.
Wir erreichen Vancouver, müde aber aufgeregt. Der Flug war nicht so schlimm, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. In Kanada ist gerade mal Mittagszeit, in Deutschland wäre es jetzt Mitten in der Nacht. Der Mini ist trotzdem hellwach und beobachtet gespannt das wilde Gewusel am Gepäckband.
Ein Glück, unsere Koffer sind auch angekommen. Wir verlassen den Flughafen und stehen nun in Vancouver. Es ist so schwül! Warum hat mir keiner gesagt wie warm es in Kanada ist? Ich glaub, ich habe falsch gepackt. Mit der Bahn fahren wir zu unserem Hotel. Über der Stadt hängen dichte Nebelschwaden. Ist das etwa Smog? Nein, das sind die Folgen der schlimmsten Waldbrände, die Kanada je gesehen hat. Man kann nicht mal die Sonne sehen. Na das haben wir ja super abgepasst …
Nach über 18 Stunden Reisezeit erreichen wir unser Hotel. Eine heiße Dusche ist alles, was ich noch will. Wir duschen den Reisestaub von uns und schlüpfen in das wolkenweiche, riesengroße Hotelbett. Es ist zwar gerade erst 19 Uhr Ortszeit, doch wir sind hundemüde.
Morgen ist auch noch ein Tag.

Vancouver, die Stadt der freundlichen Menschen
Auch am nächsten Tag hängen die dichten Rauchwolken noch über der Stadt, die für ihr wunderschönes Bergpanorama berühmt ist. Welche Berge? Na egal. Wir stürzen uns in das Getümmel der Großstadt, auf der Suche nach Kaffee.
Was sofort auffällt, ist die Hilfsbereitschaft der Menschen. Stehen wir ratlos an einer Kreuzung, wird uns sofort Hilfe angeboten. Wahrscheinlich sehen wir echt aus, wie waschechte Landeier.
An einer Bushaltestelle fragen wir einen haltenden Bus nach dem kürzesten Weg in die Innenstadt. Nicht nur der Busfahrer gibt uns freundlich Auskunft, sondern auch die Hälfte der Passagiere. Wie nett! Wir bedanken uns artig und laufen in die beschriebene Richtung. Da hupt es hinter uns. Der Bus von eben hält noch einmal neben uns. Der Fahrer fragt, ob wir jetzt wirklich wüssten, wohin wir laufen müssen. Also entweder sind diese Menschen hier einfach von Grund auf freundlich, oder wir sehen wirklich wahnsinnig hilflos aus. Wahrscheinlich ist es eine charmante Kombination.

Zur Mittagszeit halten wir an einem Café um das Gläschen vom Mini zu erwärmen. Während ich auf das „Bing“ der Mikrowelle warte, beobachte ich den Kindsvater im angeregten Gespräch mit zwei älteren Herren. Als ich mich zu dem Trio geselle, stehen schon zwei kalte Dosen Bier vor uns. Gastfreundschaft wird hier wirklich groß geschrieben. Bei so einem herzlichen Empfang bleibt uns keine andere Wahl, wir müssen Vancouver einfach toll finden.

Mit einem leichten Zwicken in der Magengrube denke ich an die bevorstehenden Tage. Morgen werden wir den Camper abholen. Und dann geht unser Abenteuer erst richtig los!
Inge, die Grande Dame der Wohnmobile
Der nächste Tag. Um 12 Uhr mittags, soll uns ein Taxi vor dem Hotel aufsammeln und zu unserem Camper bringen. Als gute Deutsche sitzen wir schon vor um 12 in der Lobby. Mit Sack und Pack. Die Minuten vergehen, Taxis rauschen heran und fahren vollbeladen zum nächsten Ort. Nur leider nicht mit uns. Wir warten, warten und warten noch ein bisschen. Der Mini rennt wie ein Aufzieh-Männchen durch die Lobby. Nach einer geschlagenen Stunde kommt ein Mann auf mich zu. „Isabell?“ das ist das einzige Wort, das ich in dem dahin genuschelten Satz deuten kann. Ist das etwa Englisch? Egal, den Namen hab ich erkannt, wird schon stimmen. Der Kindsvater dagegen ist skeptisch, vermutet sofort eine Entführung und fragt noch etliche male wild gestikulierend nach, ob wir wirklich mit dem Herren fahren sollen. Die Männer scheinen sich einig geworden zu sein. Die Koffer und Rucksäcke verschwinden im grünen Taxi, ich schnappe den kleinen Wirbelwind und dann geht es los.
Nach wenigen Metern bin ich schon genauso grün wie das Taxi. Wo hat dieser Mann bitte seinen Führerschein her, aus dem Lotto? Mit voller Geschwindigkeit rast er auf rote Ampeln zu, um dann in aller letzter Sekund auf die Eisen zu gehen. Er nimmt Vorfahrten, missachtet Zebrastreifen und scheint auch sonstige Verkehrsregeln eher als nette Empfehlung, aber nicht als Muss zu sehen.
Als wir endlich in Delta ankommen, will ich nur noch raus, aus dieser Höllenmaschine. Am Eingang des Büros stehen zwei sehr freundliche Damen, die uns in Empfang nehmen. Eine der beiden stellt sich mit „Jutta“ vor. Ein deutscher Name, wie ich ihr auf Englisch erkläre. „Na hör ma, ich komm ja auch aus Düsseldorf!“ Ach wie schön, bei unserer Landsfrau, die vor über 25 Jahren nach Kanada ausgewandert ist, fühle ich mich gleich gut aufgehoben. „Ihr seid also die drei mit der Flitterwochen-Suite.“ „Wieso Flitterwochen-Suite,“ frag ich verdutzt „ich dachte, ich hätte einen Camper bei euch gemietet?“ „Hast du ja auch. Das größte Schiff der ganzen Flotte!“
Och nö. Auf großes Schiff habe ich gar keine Lust. So ein kleiner, wendiger Camper wäre mir tausendmal lieber. Da wir mit dem Buchen aber zu spät dran waren, gab es nur noch das Monstrum. And now we have the salad!
Jutta erklärt dem Kindsvater schon mal, wie sich das Schiff auf den Straßen so verhält und was er beim Fahren unbedingt beachten muss. Ich höre ganz genau zu, denn mir ist jetzt schon klar, das Ding hab ich wohl an der Backe. Es ist nicht so, als ob mein Mann gar nicht fahren würde, ich fahre nur einfach häufiger und eigentlich auch lieber. Eigentlich.
„So, jetzt wollen wir gar nicht länger um den heißen Brei herum reden, schauen wir uns das Teil mal an“ schlägt Jutta vor.
Und da steht sie. Mir ist gleich klar, das ist ne Inge. Genauso gewaltig und stoisch und trotzdem anmutig. Ich weiß nicht ob ich weinen soll, oder lieber nen coolen Spruch abdrücke. Mein Mund bringt nur ein hysterisches Kichern raus.
Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass man ein neues Auto zweimal umrunden sollte, um ein Gefühl für die Größe zu bekommen. Also laufe ich los. Nach einer halben Stunde bin ich dreimal herum gelaufen. Das einzige Gefühl was ich danach habe ist nacktes Entsetzen. Wie um alles in der Welt soll ich diesen Straßenkreuzer sicher durch Kanada schaukeln?
Die liebe Praktikantin Lynn reißt mich aus meinen finsteren Gedanken, „wenn ihr jetzt los fahrt, dann haltet euch nicht ans Navi, sonst landet ihr Mitten im Berufsverkehr von Vancouver und das wollt ihr nicht:“ Nein, das möchte ich wirklich nicht. Also murmel ich unentwegt die Wegbeschreibung von Lynn vor mich her. „Zweimal rechts, an der Ampel links, dann auf den Highway. Zweimal rechts, an der Ampel links, dann auf den Highway.“
Nun ist die Zeit gekommen. Die Koffer sind im Inneren der Inge verstaut. Wir müssen uns wenigstens keine Sorgen machen, dass es kein Platz für unser Gepäck gibt. Ich klettere hinter das Lenkrad und versuche mich mit meiner Umgebung vertraut zu machen. Erst mal Rückspiegel einstellen. Es dauert eine Weile bis ich feststelle, egal wie ich den Spiegel drehe, er wird mir immer nur das Innere des Campers zeigen. Zum Fahren ist er völlig nutzlos. Na toll. Ich bin ein absoluter „Rückspiegel-Gucker“, manchmal mehrmals pro Minute. Das muss ich mir abgewöhnen. Die Seitenspiegel haben dafür noch einen extra kleinen Spiegel, für den toten Winkel. Auch daran muss ich mich erst mal gewöhnen.
Meine Jungs sitzen schon beide angeschnallt auf ihren Plätzen, der Mini viele Meter hinter uns.
Na dann wollen wir mal.
Schon allein das Drehen des Zündschlüssels ist ein Kraftakt. Der Motor erwacht zum Leben. Meine Hände sind schweißnass. Mehrfach wische ich über meine Jeans. Ich löse die Handbremse und der Kreuzer zuckelt los. Ahhhhhh, Hilfe, ich fahre ein Monstrum! Mein Herz schlägt bis zum Hals. Kann ich schon abbiegen? Bin ich komplett um die Kurve rum. Wie war noch mal der Weg? Einmal rechts, oder zweimal?
Zwei Kreuzungen später haben wir uns bereits verfahren. Mist! Jetzt müssen wir uns doch auf’s Navi verlassen. Es kommt wie’s kommen musste. Wir stehen in der Rush Hour, Mitten in Vancouver. Mir ist speiübel, ich sitze genauso verkrampft hinterm Lenkrad, wie in meinen aller ersten Fahrstunden. Der Kindsvater redet mir gut zu. „Du machst das wirklich toll, mach dir keine Sorgen. Du ….“ Der letzte Satz geht in einem furchtbaren metallischen Quietschen unter. „Was war das?“ schreie ich panisch. „Keine Ahnung, wird schon nicht so schlimm sein. Fahr einfach weiter.“
Bleibt mir auch nichts anderes übrig. Als wir endlich auf dem Highway sind traue ich mir zum ersten mal wieder richtig zu atmen. Der Weg zu unserem ersten Campingplatz soll malerisch schön sein. Möglich. Ich seh davon aber nichts. Meine Augen sind fest auf den Asphalt getackert. Jede Faser meines Körper konzentriert sich auf Inge. Da bleibt kein Platz für malerisch schöne Landschaften. Die Fahrt kommt mir endlos lang vor, dauert aber eigentlich nur zwei Stunden.
Dann endlich liegt unser erstes Ziel vor uns. Ein Supermarkt, schließlich müssen wir erst einmal den Kühlschrank füllen. Und ich brauch dringend einen Schnaps, oder ne Flasche Wein. Oder und.
Ich komme mir vor, wie der absolute Fahranfänger, als ich unbeholfen auf den Parkplatz einbiege. Wir brauchen ganze vier Parkplätze. Egal. Wir stehen. Erst mal.
Mein Kopf fühlt sich an wie Zuckerwatte. Ganz klebrig. Ich laufe durch die Supermarktregale und habe keine Ahnung was wir kaufen sollen. Ich will endlich ankommen.
Und wir brauchen dringend was zu essen. Jetzt. Irgendwas, was wir nicht erst noch zubereiten müssen. Gegenüber des Supermarktes befindet sich ein Imbiss. Wir halten an. Ich hab keine Ahnung, was ich essen soll. Mein Hirn kann nicht mehr richtig arbeiten. Die nette Bedienung fragt uns, ob wir die Spezialität des Hauses kennen würden „Donair“. Ich verneine. Der Kindsvater sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Die Dame erklärt, bei der Spezialität handele es sich um ein Fladenbrot gefüllt mit Fleisch, Salat und Soße. Ich nicke nur, „das nehm ich.“ Erst als wir wieder am Camper sind fällt der Groschen. „Ach „Donair“, das ist ein Döner!“ Ihr seht, ich war an diesem Punkt wirklich zu nix mehr zu gebrauchen.
Um 19 Uhr erreichen wir endlich „Alice Lake“, unseren ersten Campground. Das Rangerhäuschen ist unbesetzt, wir fahren trotzdem auf den Platz. An einer freien Stelle biegen wir ein. Da sind wir. Mitten im Wald, irgendwo in Kanada. Ich fahr heute keinen Meter mehr!
Auf dem Platz neben unserer Inge steht ein wesentlich kleinerer Camper. Das Pärchen davor schaut mich anerkennend an, als ich aus der Fahrerkabine hopse. Nun bin ich doch ein bisschen stolz auf mich.
Wir kommen ins Gespräch mit den beiden. Sie sind aus Österreich und haben, wie mir gleich auffällt, vor allem eins. Ahnung. Sie sind mit vollem Wanderequipment ausgestattet, wissen genau, an welchem Tag sie wo sein müssen und sitzen im Schein ihrer Campinglaternen über Kartenmaterial was sie inbrünstig studieren.
Streber! Zerknirscht schaue ich den Kindsvater an. Er rollt auch nur mit den Augen. Wir haben noch gar keine Ahnung, was uns die nächsten Tage erwartet. Wir wissen ja nicht mal, was es morgen zum Frühstück gibt.
Dafür gibt es jetzt erst mal einen köstlichen „Donair“ und einen großen Schluck Weißwein. Wir werden schon sehen, was die nächsten Tage bringen.


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