Gedankenverloren sitze ich am Mittagstisch und greife zum Salzstreuer. Rhythmisch salze ich meine dampfenden Spaghetti nach.
Kurz-kurz-kurz,
Pause,
kurz-kurz-kurz,
Pause,
kurz-kurz-lang-kurz-kurz.
Oh je, es ist schon wieder soweit. Es ist gerade mal August und mein Unterbewusstsein spielt schon wieder „Jingle Bells“ in meinem Kopf ab. Jedes Jahr dasselbe. Sobald der Sommer auf die Zielgerade einbiegt, und der Herbst bereits in den kühlen Morgenstunden zu erahnen ist, gerate ich in Weihnachtstimmung.
Total verrückt. Ich weiß. Daher verrate ich das normalerweise auch niemandem und versuche meine Vorfreude so lange wie möglich zu unterdrücken.
Sobald die Tage dann grauer und viel kürzer werden, kann mich aber nichts mehr stoppen. Dann gebe ich mich meiner Leidenschaft völlig hin und schreie es in die Winterwelt hinaus: „Ich liebe Weihnachten!“
Ich liebe es Geschenke für meine Familie zu besorgen und Weihnachtskarten zu schreiben. Ich liebe Weihnachtslieder, auch gerne in Dauerschleife (zum Leidwesen meiner Mitmenschen) und die kitschigen Filme im Fernsehen sowieso. Auch die ganzen Leckereien gehören für mich zu den Festtagen wie Rosinen in den Stollen. Ich liebe Weihnachtsmärkte, mit all dem Gedränge und dem Zischen und Gurgeln der Glühweinstände. Ich liebe es durch die dunklen Straßen zu schlendern und in die geschmückten und beleuchteten Fenster zu schauen. Ich liebe das Heimelige, das Muckelige.
Man könnte sagen, dass ich erblich vorbelastet bin. Meine Familie sind wie die „Whos“, diese kleinen Wesen aus dem Film „Der Grinch“. Die kennt ihr, oder?
Bei uns wird in der Vorweihnachtszeit das komplette Programm abgespult. Plätzchen backen, Glühwein schlürfen, Adventskalender basteln, Adventskränze binden, Geschenke liebevoll verpacken und die Wohnung mit soviel Deko ausstatten, das selbst die „Whos“ vor Neid blasse Näschen bekommen würden. Meine Schwester und ich schlüpfen in richtig kitschige Weihnachtspullis, Schneemannsocken und tragen Rentier-Ohrringe.
Unser Familienoberhaupt sucht bereits im September den perfekten Baum aus. Und wenn die Zeit dann gekommen ist, dann wird er in einem Gemeinschaftsakt geschlagen und von uns Mädels rausgeputzt. Dabei dudelt „Winterkinder“ von Rolf Zuckowski aus der Stereoanlage.

Habe ich es schon erwähnt? Ich liebe dieses Zeit im Jahr! Wenn ich so weiter mache, dann werde ich wohl bald ein Duftbäumchen „Tannenfrisch“ von der Tankstelle holen müssen, um die erste Gier nach Weihnachten zu befriedigen.
An unser letztes Weihnachten habe ich leider nicht ganz so idyllische Erinnerungen. Um es auf den Punkt zu bringen, es war der totale Reinfall.
Letztes Jahr war unser erstes richtiges Weihnachten als kleine Familie. Der Babymann war im Dezember zwar gerade erst zarte vier Monate, doch man kann gar nicht früh genug mit frühkindlicher Prägung beginnen. Deswegen sollte dieses Weihnachten noch schöner, noch harmonischer und noch weihnachtlicher werden.

Den ersten Dämpfer gab es bereits Anfang November. Der Dienstplan vom Kindsvater sagte uns, dass wir Heiligabend nur dann zusammen sein können, wenn wir ihn alle auf der Station der Urologie verbringen. So sehr ich meinen Mann auch liebe, doch das erste Weihnachten meines Sohnes sollte nicht zwischen Kathetern und Bettpfannen stattfinden. Somit war einer schon mal raus. Der Rest müsste sich noch mehr ins Zeug legen, um dieses Fest trotzdem so schön wie möglich zu machen. Mit allen Ritualen und all den Familientraditionen.
Jeder von uns hat eine ganz eigene Vorstellung von Tradition. Für den einen sind es sie angelaufenen Christbaumkugeln der Uroma, die jährlich den Baum zieren müssen. Der nächste besteht darauf, dass die Bescherung erst nach der Kirche stattfindet. Für andere muss es an Heiligabend Würstchen mit Kartoffelsalat geben.
Bei uns gibt es auch jedes Jahr Kartoffelsalat, mit Schaschlik. Und Sushi. Wer bis zu diesem Punkt dachte, meine Familie sei normal, der scheint nicht oft genug meine Geschichten zu lesen (schämt euch!).
Am 25. Dezember geht es selbst bei uns ganz klassisch zu, mit Thüringer Klößen, Rotkohl und einem Geflügelbraten.
Die arme Gans, die im letzten Jahr dran glauben musste war ein ganz ein edles Tier. Schon im Herbst bei der Bio-Bäuerin im Nachbarort bestellt. Die feine Dame ist eine Rassenzucht, mit Stammbaum und Adelstitel (also die Gans, nicht die Bäuerin). Wann gönnt man sich schon mal so etwas Feines, wenn nicht an Weihnachten?
Mit Sorgfalt werden tagelang die Rezeptbücher gewälzt um die perfekte Zubereitung für das Federvieh zu finden. Am frühen Morgen des Heiligabends, also am Heiligmorgen, ist es dann so weit. Die Füllung wird in den Allerwertesten von Frau von und zu Gans gestopft und dann geht es für mehrere Stunden in den Ofen. Im Schongarverfahren.
Mein Bruder, seines Zeichens Hobby-Alfred-Biolek, hält nichts von der sanften Bruzzelvariante. Richtig knallen muss es, damit das Geflügel schön kross wird. Also wird der Gans ordentlich Feuer unterm Hintern gemacht.
Derweilen gönnt sich meine Mutter eine Runde mit dem Kinderwagen. Noch mal frische Luft schnappen, bevor der ganze Trubel so richtig in Fahrt kommt.
„Eine kurze Runde geht in Ordnung“ erkläre ich „doch der Mini soll nicht so lange schlafen, damit er am frühen Abend müde ist, und während des Gottesdienstes schön schläft.“
Die Kirche, müsst ihr wissen, gehört für mich zum Heiligabend dazu. Da muss das Baby mit, ob es will oder nicht.
Ich nutze die Zeit ohne Baby, um meinen Geschenken noch den letzten Schliff zu verpassen. Alle werden ordentlich beschriftet und unter den Baum gelegt. Schön sieht das aus. Mit einer Tasse Tee setze ich mich neben den Baum und genieße einen Moment der Ruhe. Und noch einen Moment. Und noch einen. Mein Blick wandert zur Uhr. Es ist später Nachmittag. Laut meinem ausgeklügelten Plan, darf der Babymann jetzt nicht mehr schlafen. Wo bleiben die beiden bloß, frage ich mich. Doch noch eine weitere Frage drängt in mein Unterbewusstsein. Was riecht hier so merkwürdig?! Es dauert einen Augenblick bis ich den Geruch zuordnen kann. Als ich die Küchentür öffne, schlägt mir bereits eine dicke Rauschschwade entgegen. Oh nein, die Weihnachtsgans!
Auf einer Bräunungsstufe von 1 bis 10 haben wir es hier mit Grillbriketts zu tun. Na wenigsten ist sie jetzt schön kross.
Als meine Mutter endlich nach Hause kommt und den Schlamassel sieht, schaut sie dann doch kurz aus wie der Grinch. Zumindest ist sie etwas grün um die Nase.
Das Baby hat sich auch nicht an meinen Plan gehalten und ist pünktlich zum Gottesdienst schön ausgeschlafen. Das ändert nichts an meinem Vorhaben. In der Trage stapfe ich verbissen durch den mittelkalten Heiligabend (Früher war auch mehr Schnee, oder?!) um ihn zum Schlafen zu bringen. Erfolglos. Den Gottesdienst verbringen wir beide vor der Kirchentür. Leise summe ich „Stille Nacht, heilige Nacht“ mit. Bittere Tränen der Enttäuschung kullern von meiner Wange. So habe ich mir das alles nicht vorgestellt. Weihnachten ohne den Kindsvater, dafür mit Weihnachtsgans in der Geschmacksrichtung Braunkohle und nicht mal der traditionelle Gottesdienst ist mir geblieben.
Wieder zurück in der warmen Stube haben es alle ganz eilig mit der Bescherung. Der Mini soll sich noch angemessen über seine Geschenke freuen, bevor er ins Bett muss. Mein Vater hat für diesen freudigen Anlass sogar ein neues Weihnachtsmannkostüm besorgt. Nicht das alte, mit der gruseligen Maske aus unserer Kindheit, was auch mal im Sommer aus dem Schrank geholt wurde, wenn wir nicht schlafen wollten (Ich weiß, absolute Folter! Welches Kind kann noch solch einem Schock danach noch ruhig schlafen???). Nein, ein richtig schöner Mantel und ein weißer Rauschebart. Das Baby lächelt müde über die Kostümierung. Schnell noch ein Foto machen; „erstes Weihnachten mit dem Weihnachtsmann!“ werde ich später darunter schreiben. Dann gibt es Geschenke für das kleinste Familienmitglied.
Wie soll es anders sein, der Babymann freut sich am meisten über den Pappkarton. Enttäuschte Gesichter bei den Schenkenden. Ich bringe ihn ins Bett.
Mehrmals.
Mein Essen wird kalt (gut, dass Sushi schon kalt ist), meine liebevoll verpackten Geschenke ohne mich ausgepackt und über das neue Babyphone (Mein Weihnachtsgeschenk!!! Was denn, waren die Bügeleisen ausverkauft?!) tönt immer wieder ein Husten.
„Hat er sich etwa erkältet?“ fragt meine Mutter besorgt. Die Antwort folgt am nächsten Morgen. Die Äuglein des Babys sind verklebt wie bei einer kleinen Katze aus dem Tierheim und er hustet, röchelt und keucht am laufenden Band. Auch das noch!
Es ist der 1. Weihnachtsfeiertag an unserem ersten gemeinsamen Fest zu dritt. Der Kindsvater kommt endlich aus dem Dienst und fährt postwendend wieder mit uns ins Krankenhaus.
Nun verbringen wir das Weihnachtsfest doch im Krankenhaus.
Tja, erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt.
Meine Gedanken kehren zurück ins hier und jetzt. Die Spaghetti habe ich vor lauter Weihnachtsfieber völlig versalzen. Macht nix. Gerade habe ich sowieso viel mehr Appetit auf Lebkuchen. Das ist doch das tolle an Erinnerungen, wir speichern nur die guten ab. Und das nächste Weihnachtsfest wird magisch. Da bin ich mir sicher.


Du bist einfach der Hammer. Ich liebe deine Texte einfach. Eine besinnliche Zeit für euch.
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